Ein russischer Goebbels

(Dieser Beitrag ist in der September-Ausgabe 2015 von Konkret erschienen unter dem Titel: Hatespeech – Wie geht antirussische Propaganda? Die „Welt“ muss noch üben.)

Die „Welt“ betitelt einen am 8.8.15 erschienenen Essay von Nina Chruschtschowa mit „Der gerissene Angstmacher“, am gleichen Tag heißt der selbe Artikel in der „Welt“ online „In Putins Russland herrscht die Lüge als System“. Die korrekte Übersetzung des ursprünglichen Titels wäre: „Der Goebbels des Kreml“. Ist diese Varianz Zufall, Konfusion oder System?

Geht es vielleicht darum zu verschleiern, dass der Text bereits in zahlreichen internationalen Medien erschienen ist (z. B. im Project Syndicate, im ugandischen NewVision, im dänischen Borsen (o mit Querstrich)), im libanesischen TheDailyStar u. v. a.)? Oder will man verschleiern, dass der Essay bereits in deutschen Medien wie „Finanz und Wirtschaft“ (am 25.6.5) unter einem anderen, dem korrekten Titel zu lesen war? Will die „Welt“ Exklusivität vortäuschen? Oder hängt alles nur damit zusammen, dass die „Welt“ bereits am 21.5.15 in dem neuen russischen Kulturminister Wladimir Medinskij einen Schauder erregenden „Goebbelsschen Propagandaminister“ präsentiert hat?

Medinskij war einmal: Der neue Goebbels heißt Wladislaw Surkow. Nina Chruschtschowa, die Enkelin des Mannes, der 1954 in Schnapslaune der Ukraine die Krim schenkte, hat einen wohl bedeutenden Artikel verfasst, wenn die „Welt“ ihn nachdruckt, und die Welt damit überschwemmt wird.

Es geht um Propaganda. Nina Chruschtschowa, Dekanin an der New School in New York, kennt sich da aus als Professorin für Politisches. Surkow, Berater des Präsidenten Putin, früher für Abchasien und Südossetien zuständig, ist für sie jetzt als „Chefpropagandist“ für alles Böse in Putins Reich verantwortlich.

Chruschtschowa weist anfangs darauf hin, dass Surkow tschetschenischer Abstammung ist. Die Mutter ist zwar Russin, aber das zählt hier nicht, weil die Tschetschenen „wie Stalin – von der säbelrasselnden Mentalität des Kaukasus geprägt“ sind. Der Syllogismus ist klar: Der Georgier Stalin trank gerne Blut – Georgien und Tschetschenien liegen, aus Satellitenhöhe betrachtet,  ungefähr in derselben Gegend – Fazit: auch der Tschetschene Surkow trinkt gerne von der roten Flüssigkeit. Der ukrainische Präsident Poroschenko hat ihm einst vorgeworfen, persönlich die Schüsse der Scharfschützen auf dem Majdan kommandiert zu haben. Das war eine gute Grundlage, darauf kann man einen Propaganda-Popanz  aufbauen.

Dass Surkow 2009 ein Buch veröffentlicht hat (Okolonolja, =Bei Null) über postsowjetische Korruption und Verkommenheit, das Wiktor Jerofejew in der FAZ bemerkenswert genannt hat, erwähnt Chruschtschowa nicht. Auch nicht, dass Surkow 2013 von Putin geschasst wurde, weil er der Opposition zu nahe stand. Dass Putin ihn wieder zum Berater machte, besagt noch nicht, dass er zum Drecksack wurde. Ich weiß es jedenfalls nicht, Chruschtschowa weiß es.

Ebenso wie Goebbels sei Surkow „nicht übermäßig auf Fakten bedacht“. Eine sehr geschickte Formulierung, jetzt müsste nach dem Kleinen Propaganda-Katechismus  eine Aufzählung der russischen Lügen folgen. Das ließe der Titel der Online-Übersetzung auch erwarten. Was aber folgt, ist der Satz: „Emotionen bilden den Kern der Botschaft des Kreml“. Das ist, propagandatechnisch gesehen, eine Katastrophe. Aber es kommt noch schlimmer. Putin habe außereheliche Kinder, er habe sich nach 30 Jahren scheiden lassen, eine Olympia-Turnerin geheiratet, stehe aber trotzdem gut mit der orthodoxen Kirche. (Hä?) Er schränkt die Rechte der Schwulen ein und „sichert sich dabei die Unterstützung der Kirche“. (Wie meinen? Sind das nicht westliche, präziser gesagt, bayerische Werte, die hier säuberlichst angeführt werden? Dabei sei geschenkt, dass nicht die Unterdrückung der Homosexuellen als der eigentliche Skandal gilt, sondern die Anbiederung an die Kirche.)

Übersehen hat Chruschtschowa, dass es tatsächlich um Emotionen geht, wenn Putin ein bestimmtes Öffentlichkeitsbild von sich schafft. Das ist ein Verfahren, das im Westen seit eh existiert, das übernehmen hier PR-Agenturen und kein Propagandaministerium. Wenn ein Verteidigungsminister mit seiner adeligen Angetrauten im Pool plantscht und im bunten Blatt abgelichtet wird, so ist das eine Sache der PR und ebenso lächerlich, wie die Ablichtung Putins beim Reiten mit nacktem Oberkörper. Beides soll Sympathien, also positive Emotionen schaffen.

Die Autorin spricht von einer Kampagne, die dem „Personenkult um Stalin ähnelt“. (Wieso ist der richtige Goebbels nie darauf gekommen, den Führer mit nacktem Oberkörper oder schnorchelnd mit einer Froschmaske im Gesicht und einer Amphore in der Hand der Öffentlichkeit zu präsentieren? Da wäre uns einiges und vor allem Bernd Eichingers Film erspart geblieben.)

Die russische Propaganda-Kampagne, für die Surkow steht, gehe sogar so weit, die Russen „ohne Einschränkungen ins Ausland reisen“ zu lassen. Oder noch schlimmer: „Es hat keine Massensäuberung gegeben und nur wenige große Kundgebungen.“ Wer hätte das gedacht! Die Propaganda soll Putin Zustimmung verschaffen und – er bekommt sie, ohne auf Methoden angewiesen zu sein, die Hitler oder Stalin zugeschrieben werden. Zudem: All die schlimmen Dinge, die sich der russische Goebbels ausgedacht hat, gelten, mutatis mutandis, auch für Politiker des freien Westens. Sein Image verbessern, lügen, nach Macht und Zustimmung gieren, das ist hier die Norm.

Die „Lügen“ aus dem zweiten Titel sind im Essay nicht benannt, obwohl Putin sicher genügend davon produziert hat. Wie ist es mit der „Angst“ aus dem ersten Titel? Die Autorin nennt Angstmacherei „eine hinterlistige und wirkungsvolle Strategie, die Andersdenkende marginalisiert und den Eindruck nahezu uneingeschränkter Unterstützung für das Regime entstehen lässt.“ Das klingt bedrohlich. Aber sie bringt nur einen einzigen Beleg. Anhänger Putins trügen in der Öffentlichkeit ein schwarz-orangenes Sankt-Georg-Band. Eine „Freundin, Opernsängerin im Boschojtheater, hat ein kleines Sankt-Georgs-Band an an ihren weißen Mercedes gebunden… Sie ist keine Freundin von Putin. Sie wollte aber nicht unnötig auffallen.“ (Ich hoffe, der Mercedes der sangesfreudigen Konformistin wird von Gegnern des Regimes misshandelt oder von Putinanhängern, denen das Bändchen zu klein ist.)

Reichen die Beispiele, um aus Putin einen Stalin und Hitler in Personalunion zu machen? Wohl nicht. Ist Putin nur ein Pofalla mit größeren Ambitionen? Möglicherweise. Doch dann wären Ninas Vorwürfe Pipifax. Weder konnte die Autorin nachweisen, dass die russische Propaganda ein mittleres westliches PR-Projekt übertreffen könnte. Noch konnte sie eigene propagandistische Fähigkeiten ins Spiel bringen, die von einer Professorin der „legendary progressive university in New York City“ zu erwarten wären.

Ein einziges Mal blitzt wahre Propagandakunst auf, als Chruschtschowa die Kämpfe der Separatisten, die von Putin unterstützt werden, als “Invasion in der Ukraine“ bezeichnet oder die Sezession der Krim und den darauf folgenden Anschluss an Russland als „Annexion der Krim“. So macht man das richtig: aus Teilwahrheiten Halbwahrheiten und aus Halbwahrheiten Fakten fabrizieren. Ich kenne Leute, die überzeugt sind, dass die Russen auf die Krim mit Panzern einmarschiert sind. Dass nennt man erfolgreiche Propaganda.

Aber da ist nicht Chruschtschowa darauf gekommen, das waren andere.

Ein Gedanke zu “Ein russischer Goebbels

  1. Nina Grustschowa lebt wer weiß wo aber Ihr Großvater hat auch viel Blut an den Händen , deshalb verstehen wir nicht , warum sie den Präsidenten Grustschov so positiv hinställt !

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