Leistunsbeurteilung

(Dieser Beitrag erschien im Februar 2016 in Konkret mit dem Untertitel: Das Gymnasium schafft sich ab. Ein Beispiel aus dem Südwesten)

Dass ein blindes Huhn auch einmal ein Korn findet, wissen wir. Es war daher kein Mensch verwundert, als  die Grüne Jugend Baden-Württemberg auf ihrem Parteitag Anfang November 2015 ein Körnchen Wahrheit aufpickte: das Gymnasium sei nicht überlebensfähig und gehöre abgeschafft. Alle Achtung! Doch die allgemeine Anerkennung hielt sich in Grenzen. Was folgte, war ein empörtes Gescharre, Geflatter und Gegacker im bildungspolitischen Hühnerstall des Ländles.

Winfried Kretschmann (Erwachsene Grüne) krähte: „Wer sich am Gymnasium vergreift, überlebt das politisch nicht“. Claus Schmiedel (SPD) gackerte: „Wer das Gymnasium schleifen will, muss ich einen anderen Koalitionspartner suchen.“ Und Thomas Strobl (CDU) forderte Kretschmann auf, sein Gluckenrecht wahrzunehmen und die Hühnchen zur Räson zu bringen, ein anderes Mitglied dieser Partei drohte gar mit der ultima ratio, also der Demokratie, vulgo Volksabstimmung. Sogar die FDP meldete sich aus dem Sarg zurück: ein Hans-Ulrich Rülke unterstellte Kretschmann, sein Festhalten am Gymnasium sei nur ein Taktieren bis zur Wahl im März 2016.

Natürlich ist keinem der nur halbblinden Hühner aufgefallen, dass das Gymnasium ohnehin längst dabei ist, sich selbst abzuschaffen. Dem obsoleten, verkrusteten, antiquierten System ist inzwischen in den Privatschulen eine Konkurrenz entstanden, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das bedeutet: wenn Vati betucht ist, schickt er seine Sprösslinge nicht mehr aufs Gymnasium, wie er das bisher tat, wenn er ihnen eine standesgemäße Zukunft  sichern wollte, heute muss es ein  eine Privatschule sein. In England sind es inzwischen fast 40 Prozent, in den Niederlanden fast 2/3 der Eltern, die eine moderne Schule vorziehen – und Deutschland zieht nach. Eine moderne Schule? In der November-Nummer der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ wird Bilanz gezogen: Von den 34000 allgemeinbildenden Schulen seien 10% in privater Trägerschaft, in katholischer 686, in  evangelischer 478, dann folgen Waldorfschulen und dann freie evangelikale (100).

Ist das die Bildungskonkurrenz? Können heilige Jungfrau und Exorzismus,  Thesenanschlag und Schulgebet, Reinkarnation und Theosophie, intelligent design und Kreationismus als Anreiz für Bildungsbeflissene dienen? Anscheinend ja. Und eine weitere interessante  Frage: Müsste das staatliche Gymnasium, das ohne Kreationismus auskommt, diese Konkurrenz nicht mit links abwehren können? Anscheinend nein. Und warum? Weil Bildungspartikularismus, hierarchische Strukturen und Beamtenstatus der Lehrer das seit dem 19. Jahrhundert konservierte Bildungssystem weit mehr behindern als der Rosenkranz es je könnte.

Um welche Behinderungen geht es? Das mag ein Gespräch beleuchten zwischen einem Gebildeten und einem Ungebildeten über ein klitzekleines Randphänomen im leistungsstärksten Gymnasialland der Republik.

Abiturient: Keine Zeit heute… muss für morgen noch bei Google referate.de oder fundus.org durchchecken…

Hauptschüler: Aha, du musst morgen ein Referat halten, das muss man vorher erst mal finden. – Gutenberg hat den Druck erfunden und Guttenberg den Ausdruck.

A: Hä hä, genau! Aber Referat… nee… ich muss morgen ´ne GFS halten.

H: GFS? Was ist das?

A: GFS? Das ist, weil… muss ich eben machen.. für die Uni später.. weißt du, ich will ja Betriebswirtschaft oder so…

H: Ich verstehe. Die GFS soll für das Studium vorbereiten. Aber wofür steht denn das Kürzel?

A: Gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen!

H: Aha! Du hältst also morgen eine Feststellung?

A: Jau!

H: Einer Schülerleistung?

A: Jau! Der Schüler bin ich!

H: Jetzt im Ernst, du kannst doch keine Feststellung halten, machen  oder leisten, da sträubt  sich doch die Grammatik dagegen, die Stilistik sowieso…

A: Sowieso? Wieso?

H: Man kann nicht sagen, man  halte eine Feststellung und bekomme eine Note dafür!

A: Ich  mach‘ sie ja auch nicht, der Lehrer macht sie.

H: Der Lehrer? Macht der die GFS?

A: Nö! Ich mach  die Schülerleistung und der Lehrer macht die Feststellung.

H: Aha, ihr macht beide die GFS?

A: Jau! Nö! Oder irgendwie …keine Ahnung…

H: Und ich verstehe auch nicht, warum von Schülerleistungen im Plural die Rede ist..

A:  …im was?

H: In der Mehrzahl, es geht doch schießlich jeweils um eine Leistung, morgen um die deine.

A: Ja genau, meine Leistung!

H: Übrigens: Überprüft jemand, ob du die GFS selber gemacht hast?

A: Aber klaro! Ich muss unterschreiben, dass ich sie ganz alleine und selbständig ausgedruckt, äh… gemacht habe…

H: Und außerdem: Ist jetzt die Feststellung gleichwertig oder die Schülerleistung?

A: Was? Irgendwie…

H: Das muss wohl, nach der Logik, die Leistung sein! Das Adjektiv ist dem falschen Nomen zugeordnet !

A: Wie? Dann hat wohl…

H: Genau! …einer gepennt bei der Wortproduktion und ganz viele bei der Wortkonsumtion! Und weiter: Wenn von ‚gleichwertig‘ die Rede ist, muss ein Vergleichsobjekt angeführt werden oder auf Lehrerdeutsch: Wem oder wem ist die Leistung gleichwertig?

A: Wie jetzt?

H: Das ist doch klar. Wenn ich zum Beispiel sage: ‚Er ist dumm wie…‘, dann muss ich, um eine stringente Aussage zu formulieren, ‚Bohnenstroh‘ dazu sagen.

A: Aha!

H: Und da wir gerade bei Bohnenstroh sind, wer hat die denn erfunden, die GFS?

A: Keine Ahnung irgendwie… muss wohl einer von oben…

H: …vermutlich ein unkündbarer Leistungsträger aus dem Bildungsbereich…  Bezieht sich die Gleichwertigkeit vielleicht auf die Benotung anderer Leistungen, von Klassenarbeiten zum Beispiel?

A: Ja –  Klassenarbeiten!

H: Verstehe! Jedenfalls zeitigt die Bildungs-Offensive schon erste Ergebnisse: Grammatik, Stilistik, Logik und Glaubwürdigkeit sind schwer erschüttert… Und der Kreationismus bekommt den Status relativer Rationalität.

A: Jau! Nö! Irgendwie…

H: Und was sagen die Lehrer zu alledem?

A: Lehrer? Äh… Irgendwie – auch – keine Ahnung…

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