Funktionsweise von Dummheit

Metonymic games.  Ein Beitrag zur Geschichte der Dummheit. Und zur Funktionsweise von Ideologien.

Wer sich Flüchtlinge in die Tiefen des Mittelmeers oder in die Hölle wünscht, spricht das selten direkt und unverblümt aus. Er redet, seine moralische Qualität darzutun, von den verbrecherischen Schleuser- und Schlepperbanden, die so gewissenlos sind, die armen Flüchtlinge gegen Geld auf eine unsichere Fahrt im defekten Schlauchboot über das Meer zu schicken, wo sie leiderleider ertränken. Der Gute zerfließt dabei vor Mitleid. Und er wendet eine Redeweise an, die gerne da zu Tage tritt, wo sich Dummheit und Amoral tummeln, die metonymische Redeweise. Metonymie ist die Logik der dummen Kerls. Dummheit bedeutet hier, für real und wahr zu halten, was eigentlich nur ein literarischer oder rhetorischer Kniff sein sollte.

Bekannt sind Metonymien, ähnlich wie Metaphern,  als rhetorische Tropen und als Sprachfiguren, die in der Literatur, aber auch in der Alltagssprache und der Rhetorik gängig sind. Beispiel: Auf die Metapher „Machst du mir Kaffee, Süße?“ folgt gerne eine weitere: „Natürlich, mein Schatz.“   Oder  die Metonymie „Mach  ihn dir selber, du Arsch“.  Während die Metapher als Stilmittel aus einem andern Begriffsfeld stammt und auf Ähnlichkeit basiert,  steht die Metonymie als Umbenennung im sachlogischen Zusammenhang mit dem gemeinten Begriff. Die Synekdoche (Vertauschung der Bezeichnungen zwischen dem Ganzen und einem Teil, meist pars pro toto, also Kiel für Schiff) gilt meist als Sonderfall der Metonymie. Beide Figuren dienen als Verfahren der Bedeutungsänderung von Wörtern. („Stuhlbein“ ist metaphorisch, „pro Kopf“ Ist metonymisch entstanden.)

((( Der berühmte Rhetor Marcus Fabius Quintilian (1. Jahrhundert) kannte sieben Typen der Metonymie:

Erzeuger für Erzeugnis,  (Goethe lesen)

Erzeugnis für Erzeuger (Ich schenke dir Freude)

 Rohstoff für Ware (Du liest noch den ganzen Regenwald weg)

 Besitzer für Besitztum,  (Der Nachbar ist abgebrannt)

Kollektivabstraktum für Konkretum (Nachbarschaft für einzelne Nachbarn)

 Gefäß, Zeit, Ort, Land für Inhalt (Frankreich hat angerufen)

 Konkretes  für Abstraktes (Lorbeer [Ruhm, Ehre]

Vermutlich ließen sich noch 60-70  weitere Typen finden. )))

Weniger bekannt als ihre rhetorische Funktion ist der Beitrag der Metonymie zur Verbreitung, Stärkung und Akzeptanz dummer Behauptungen, Ideen, Ideologien. Fast alle dummheitbasierten Welterklärungsmodelle bedienen sich ihrer, wenn  es um zentrale und grundlegende Aussagen geht. Betrachten wir einige der Dummheitsreservoire.

1. Ein einfaches Beispiel ist die Fehde aus Blutrache, die auf  einem Totum pro parte basiert. Wird in einem archaischen Gewohnheitsrecht von dem Mitglied eines Clans oder ein Familie ein Unrecht ausgeübt, haftet der gesamte Clan bis in die (weite) Zukunft. Einer war irgendwann an irgendwas schuld, und die Rache trifft alle Angehörigen, für immer. Die Capulets und Montagues prügeln und erschießen sich bis heute, ohne zu wissen warum.

2. Mythen und  Religionen setzen gerne auf Sündenbocksmechanismen (Sie sind nach Rene Girard konstitutiv für Kultur). Wird das Opfer getötet, werden durch die Metonymie der Schuldübertragung („Bock“ steht metaphorisch für sündigen Menschen) die Gemeinschaftsmitglieder frei von Schuld. Jesus war für die Christen Sündenbock im positiven Sinne. Im negativen Sinne werden metonymisch die Juden als Gesamtheit für die Tötung Jesu verantwortlich gemacht. Beim jüdischen „ Gottesmord“ verdreifacht sich die Metonymie: 1. Einige Juden im Sanhedrin billigten (ohne Entscheidungsbefugnis) die durch den Statthalter Pilatus angeordnete Hinrichtung Jesu (also waren sie verantwortlich). 2. Einige Juden waren verantwortlich (also waren alle Juden verantwortlich). 3. Alle Juden von damals waren verantwortlich (also sind die Juden bis heute als Gesamtheit verantwortlich.)  Logischer Schluss des  Dreischritts: Juden sind Feinde des Christentums, die Feinde Gottes. Und damit Feinde der Menschheit. NB: der „Gottesmord“, in dem der Vater für den Sohn steht, ist natürlich ebenfalls eine Metonymie. (Der Islam hat eigene antijüdische Traditionen und Metonymien.)

Eine weitere Metonymie des Christentums ist die „Erbsünde“: Für eine erfundene Sünde am Baum der Erkenntnis haben als Totum pro parte die nachfolgenden Generationen die Folgen zu tragen.

3. Die Sündenbocksideologie hilft Feinde zu schaffen und Feindbilder zu konstruieren und zu konservieren, die zur Stabilisierung von Gemeinschaften nötig sind. „Juden“ haben sich als günstige „Feinde“ erwiesen, da sie durch die Allgegenwart des Christentums eine unerschöpfliche Quelle für Feindseligkeit bieten. Ob das  Deutsche Reich ohne das innere Feindbild der Juden und das äußere der Franzosen hätte entstehen und bestehen können, dürfte nach der Lektüre von Liberalen wie Jakob Friedrich Fries,  Johann Gottlieb Fichte oder Ernst Moritz Arndt fraglich sein.

4. Alle Gemeinschaftsideologien basieren auf metonymischen Gedankengängen. Da regiert neben dem „Sündenbock“ das Totum pro parte des WIR: vom Dorfpatriotismus bis zum Nationalismus im sportlichen, im politischen und sozialen Gewande. Dem steht als metonymisches Kontrabild der „Feind“ entgegen, bzw. als abgeschwächtes Feindbild der verächtliche Blick (z. B. auf die Polen, auf die Griechen).

5. Rassismus: Jeder Rassismus basiert auf einer metonymischen Verallgemeinerung von Merkmalen. Hier wird gerne auch als Metonymie das Kollektivpronomen des Singulars verwendet: der Jude, der Russe, der  Grieche…

6. Das Patriarchat wird metonymisch in fast allen Sprachen gestützt von Grammatik und Semantik.  Wo „Mann“ und „Mensch“ metonymische Synonyme sind (im Englischen “Man“, im Französischen „L`homme“, im Althochdeutschen „mennisc“), ist das Patriarchat unerschütterlich fest gefügt.  

7. Politik: Im Krieg wird schon mal  gedanklich eine Grenze verschoben. Wenn ein ranghoher Politiker den dümmlichen Satz von sich gibt „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt“, wendet er eine Metonymie an. Friedenszeiten bieten keine Sicherung gegen Dummheit: Wenn das geschichtslose Dummchen vom „Reichstag“ spricht, meint es entweder das Gebäude oder die Bundestagssitzung.

8. Migration:  Wenn Flüchtlinge abgewehrt werden sollen, greift die Metonymie die bösen Schlepper an. Oder die schlimmen Verhältnisse im Lande der Geflüchteten, die zu verbessern der beflissene Flüchtlingsfeind Gott und der Zukunft überlässt.

9. Der Klimawandel wird vom  Metonymiker zu einer seit Jahrhunderten dauernden   Wetteränderung umgedeutet und damit zur unveränderlichen Gegebenheit.

10. Die Geschichte des Kapitalismus ist eine Geschichte seiner Umbenennungen im metonymischen Sinne. Heute ist Kapitalismus dermaßen diskreditiert, dass er nur noch bei seinen direkten Nutznießern offen gezeigte Sympathien findet. Da helfen die Umbenennungen, meist metonymische Propaganda, wie als Pars pro toto „Marktwirtschaft“ (per se sozial,) die durch die fast göttliche „unsichtbaren Hand“(als Metapher) ihre Wirkung entfaltet und guten Eindruck macht.  Ebenso guten Eindruck macht das Totum pro parte „Wirtschaft“ für Kapitalismus, da es zu Wirtschaft keine Alternative gibt.  Die Bibel des Kapitalismus von Adam Smith enthält das Wort „Reichtum“ im Titel.   („An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations.“ 1776) Für ein „Wealth of Nations“ genügen 7%  des Reichtums bei dem richtigen  Personal von Besitzenden für 100 % des Gesamtwohls. Das reicht den Dummen, wie das ebenso gern missverstandene Wort „Natur“:  Was als Naturgegebenheit auftritt, wird  unkritisierbar und alternativlos wie ein Vulkanausbruch.

 11. Ähnlich funktioniert die Wachstumsideologie. Steigerung von Kapital wird als Erhöhung der Arbeitszahlen verkauft und als Senkung der Arbeitslosigkeit, dient also dem Gemeinwohl. Dass jeder Unfall, jede Katastrophe, auch jeder Krieg das Wachstum fördert, wird der Öffentlichkeit schamhaft verschwiegen. Kauf von Sinnlosem und Wegwerfen von Sinnvollem gehören ebenfalls wesentlich zu „Wachstum“ und „Wohlstand“.

12.  Der Antikapitalismus des nationalen Sozialismus unterscheidet zwischen dem raffenden und dem schaffenden Kapital und verbindet sich mit Antisemitismus: Die Raffenden sollen die Juden sein, die Schaffenden die nichtjüdischen Arbeiter und Unternehmer. Antikapitalistische Unzufriedenheit wird metonymisch auf das Finanzkapital gerichtet und im nächsten Schritt auf Juden als Finanzmagnaten. Als August Bebel (oder Engelbert Pernerstorfer oder Ferdinand Kronawetter, man weiß es nicht) den klugen Aphorismus formulierte „Der Antisemitismus ist der Antikapitalismus der dummen Kerls“, war ihm nicht bewusst, dass er eine Metonymie anwandte. Für Moishe Postone ist »ein wesentliches Moment des Nazismus« sein »verkürzter Antikapitalismus«, er nennt das eine „kognitive Verkürzung“.

Warum gerade die Metonymie so dummheitskompatibel ist, das verrät uns Sigmund Freud im letzten Kapitel seiner Traumdeutung. Da  führt er den Begriff Primärvorgang ein, der alle Vorgänge des Unbewussten  kennzeichnet. Primärprozesse werden vom Lustprinzip regiert. Sie zeigen in der frühen kindlichen Entwicklungsphase ihre Wirksamkeit, ebenso im Traum, da es hier, wie beim dummen Erwachsenen, zu einer Reduktion der Funktionen des Ich und des Über-Ich kommt.

Merkmale des Primärprozesses sind: Verdichtung, Verschiebung und Symbolik der Denkinhalte, Zeitlosigkeit, Entfall der ausschließenden  Logik zugunsten einer Logik, die keine Widersprüche kennt und die der Sekundärvorgang (das Ich und Über-Ich) nicht zu verarbeiten imstande ist. Da sie sich, wie Freud in „Animismus, Magie und Allmacht der Gedanken“ nachweist, als Kulturtechniken eignen, dürften sie (nach meiner Hypothese) auch im Fall metonymischer Redeweisen wirksamsein.

Der Linguist Roman Jakobson übernimmt die freudschen Begriffe und erweitert sie. Er nennt Verdichtung und Verschiebung Metonymie und Synekdoche, das Symbol  Metapher. „Eine Rivalität zwischen den beiden Mechanismen, metonymischen und metaphorischen, manifestiert sich in jedem symbolischen Prozess, im intrapersonalen wie im sozialen. So lautet bei der Erforschung der Struktur der Träume die entscheidende Frage, ob die Symbole und die verwendeten zeitlichen Sequenzen auf Kontiguität beruhen (Freuds metonymische ‚Verschiebung‘ und synekdocheische ‚Verdichtung‘) oder auf Similarität (Ähnlichkeit, Freuds Identifizierung‘ und ‚Symbolik‘).“

Freuds Begriffe der Verschiebung und der Verdichtung beziehen sich auf seine Theorie des Traums als Übersetzung eines latenten Traumgedankens in einen manifesten Trauminhalt. “Bei der Verschiebung geschieht eine Art Akzentwechsel: Das, was im latenten Traum wichtig ist, wird im manifesten Traum zu einer Nebensache (oder verschwindet ganz). Die Verdichtung besteht darin, dass in einem Element des manifesten Traums mehrere Assoziationsketten zusammenlaufen, zum Beispiel kann eine Person des Traums für eine ganze Reihe von Personen stehen, die in ihr verdichtet sind.“ (Rolf Nemitz)

(((Der Psychoanalytiker Jacques Lacan  setzt Verschiebung und Verdichtung mit Metonymie und Metapher gleich, kommt aber sonst zu ähnlichen Schlüssen.)))   

Das magische Denken wird deutlich bei offensichtlichen Lügen und Fakes. Im alternativen Fakt manifestiert sich nicht Böswilligkeit oder Immoralität, höchstens nur nebenbei, sondern vor allem die „Allmacht der Gedanken“ (Freud), die kindliche und kindische Magie des „So will ich es!“ Und wozu dienen dumme Rede und dummes Tun? Dem Wohlsein! Das kindliche Lustprinzip der Dummheit ist bereits Erasmus von Rotterdam bewusst geworden: „Es tut so sauwohl, keinen Verstand zu haben, dass die Sterblichen um Erlösung von allen möglichen Nöten lieber bitten, als um Befreiung von der Dummheit.“ (In: Erasmus, Stultitiae laus)

Während früher Dummheit unter den Scheffel gestellt wurde, weil man sich ihre schämte, suchen die Dummen heute das Licht der  Öffentlichkeit und erlauben sich das eitle Vergnügen, ihrem geistigen Dünnschiss sogar passende und originelle Namen zu verleihen. Sie nennen sich: Pegda, Verschwörungsdumpfbacken, Incels, Patridioten für Deutschland, Querfurzer, Astrologen, Reichsdeppen, Kirchenreformer, Klimatrottel , Trumpisten usw. Sie produzieren so ein geistiges Selfie einer Aalternative für Deutschland und präsentieren sich aller Welt mit großem Stolz, einem Selbstgefühl, das als Wort etymologisch vermutlich verwandt ist mit dem lateinischen „stultus“ (albern, dumm).

Die Metonymiker müssen keine bösen Menschen sein, aber sie sind  realitätsblind und brunzdumm. Wenn sie als deutsche Nationalkicker siegreich und besoffen sind, besingen sie ihre Gegner, sofern diese aus Argentinien kommen,  als „Gauchos“ (Metonymie) und ahmen sie im Schimpansengang (Metapher) nach. Als Antisemiten verteidigen sie sich gerne alternativfaktisch damit, ihre besten Freunde unter Juden zu haben. (Kann ein Antisemit Freunde haben, solange er Kumpane und Alkohol zur Verfügung hat?) Als Kriegswillige verhindern sie Auschwitz, indem sie Jugoslawien, das heißt Serbien, bombardieren helfen. (Man weiß, der Reim verpflichtet. Und Serbien reimt sich auf das lustige Spezialreimwort „sterbien“ aus dem Ersten Weltkrieg.) Sie bomben auch gerne für Menschenrechte, wenn der Preis für einen nebenher getöteten Zivilisten, wie in Kundus bei einer Übung mit Ernstfallcharakter, 5000.- Dollar Strafzahlung nicht überschreitet.

In der ZEIT finden wir am 29.8.21 eine gut platzierte Dummheit auf hohem Niveau! Peter Handke wird im Feuilleton beiläufig und selbstverständlich, wie das in den Qualitätsmedien damals allgemein üblich war, als „Serbienversteher“ bezeichnet. In diesem Kompositum häufen sich die Metonymien: mit Serbien sind Serben als Ethnie gemeint, mit Serben alle Serben in toto und unter diesen vor allem der Montenegriner Slobodan Milošević. Und „Verstehen“ bedeutet Billigung und Rechtfertigung, hier von Verbrechen (in Sarajevo und in Srebrenica), die von einigen Serben begangen und metonymisch allen Serben, ganz besonders ihrem damaligen Präsidenten  angelastet werden. (Dass Milošević  in Den Haag einem voraussichtlichen Freispruch vorausgestorben ist, weil eine Befehlskette von der jugoslawischen Regierung zu den Verbrechen der Karadžić und Mladić nicht nachzuweisen war, interessiert nicht.) In Deutschland kennt man diesen Mechanismus, wenn man sagt „Hitler war´s“ oder „Die Nazis waren´s.“

Das Verfahren der Dummen die Welt zu erklären, indem man sich der Grammatik des Unbewussten bedient, also der Metonymie, Metapher oder Antinomie hat im Verbund mit magischem Denken und dem Lustprinzip eine große Vergangenheit, –  und vermutlich – eine noch größere Zukunft.

(((Zu des Schlächters Putin Krieg gegen den Faschismus ließe sich Ähnliches sagen. Aber Putin agiert in einem sekundären System der Dummheit, das ein primäres System imitiert, den Nato-Angriff auf Jugoslawien 1999)))

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