Mein Lieblingsroman stammt von 1794 und ist von Gustav Löffler verfasst. Sein Titel: Des Pfarrers zu Aichhalde Ritt von zehen Meilen oder Szenen aus dem Leben weiser Menschen und Narren. 4 Bände. Mit 4 gestochenen Frontispizes von S. Mansfeld.
Der Roman ist eine an Laurence Sterne´s „Tristram Shandy“ erinnernde Erzählung mit hübschen Abschweifungen und Provinzialismen schwäbischer Art, von der Kritik damals zumeist völlig verrissen. Ein Jahr zuvor erschien das Buch bei Cotta, allerdings in 3 Bänden. Sehr selten!!!! Goed. IV/1, 626, 128 (Ausg. Tbg. 1792). (= Wienerische Landbibliothek). – Duttenhofer, wie sein bürgerlicher Name war, lebte 1758 bis 1823) und war Präceptor zu Wildberg in Württemberg, sowie Pfarrer zu Kloster Reichenbach (NDB 3, 52-6).
Zitat aus „Bibliotheca Germanorum, erotica & curiosa; Verzeichnis der gesamten deutschen erotischen Literatur mit Einschluss der Übersetzung, nebst Beifügung der Originale“: Löffler, Gustav (d. i. Jac. Heinr. Duttenhofer), Des Pfarrers zu Aichhalde Ritt von 10 Meilen, oder Scenen aus dem Leben weiser Menschen und Narren. 3 Bde. Mit i Kpfr. Tübingen, Cotta, 1792. (In Warmbrunn.) Noch ein vierter Band erschien angeblich. – (Falsche Vermutung! Der 4. Band erschien tatsächlich!)
Das Buch ist eine unentdeckte literarische Kostbarkeit und Fundgrube kurioser Raritäten. Zum Inhalt: Pfarrer Gustav Kochlearius aus Aichhalden in Schwaben ist zu Pferde auf dem Weg zu einem Amtsbruder, der 10 Meilen entfernt wohnt, wo er aber nie ankommt. Unterwegs trifft er auf einen verunglückten Förster, den er rettet und nach Hause geleitet. Der Förster bittet ihn, seine Lebensgeschichte anzuhören, und Kochlearius willigt ein. Aus der Lebensgeschichte ergeben sich weitere Erzählungen über den Vater und den Sohn des Försters. Kochlearius berichtet sodann über seinen Vater und seinen Sohn sowie über Schwester und Schwager. Liebesgeschichten folgen auf Kriegs- und Kriminalerzählungen, Sagen über einen verborgenen Schatz und eine Rabritter- und Mordgeschichte. Nebenbei kommen zur Sprache: Soldatenverkauf in Hessen, Mätressenunwesen, Kriegsgräuel, brutale Gutsherren. Adel und Pfaffen werden gründlich abgewatscht, Bauern, denen ein gütiger Grundherr Freiheiten gewährt, missbrauchen diese und wünschen sich zum Schluss ihren, wenn auch gütigen, Tyrannen zurück. Die Erzähler wechseln, ab und zu meldet sich der Haupterzähler mit einem Kommentar in den Anmerkungen. Darin setzt sich der Erzähler scharf mit noch ungeschriebenen Rezensionen auseinander. Die Anmerkungen erklären schwäbische Provinzialsmen, manchmal mit einer französischen Übersetzung, auch der Setzer erlaubt sich eigene Kommentare. In den Anmerkungen zu einigen pikanten Formulierungen, wird auf den Hausfreund der „schönen Leserin“ verwiesen. Die Sprache ist kunstvoll, metaphorisch und gekonnt witzig: „Gesprächsel“ kommen vor, „bürgerlicher und adeliger Pöbel“, Mundraub als „Fresspossen“. Ein Satz geht über 1 Seite; ein Kapitel endet mitten im Satz (Erklärunng: leider endet hier das Manuskript). Der theologische Autor schont seine eigene Zunft nicht, da ist die Rede von „theologischen Tiraden“, ein Amtsbruder tritt als „Ehren Vielgeschrey“ auf, ein Sterbender „rülpst seine Seele aus“. Am Ende folgen Supplemente, die den Erzählungen dokumentarischen Anstrich geben. Was Abschweifungen betrifft, so wird der Meister der ungeordneten Erzählung, Jonathan Swift im „Märchen von der Tone“, weit übertroffen. Die Verwicklungen von Autor, Haupterzähler und Nebenerzählern übertreffen Umberto Ecos „Der Name der Rose“.
Die russischen Formalisten hätten an dem überbordenden Löffler ihre Freude gehabt. Und ich als Aufspürer und Sammler von theologischen Atheismusverdächtigen sowieso.
